Beschreibung
Töchter der Mondin – Cambra Maria Skadé
LESEPROBE:
Ahninnendecke
Die dunkle Zeit kommt und der Wunsch nach Rückzug wird
stärker, je grauer es draußen wird. Herdfeuer, lange ins
Dämmerlicht
schauen, die Langsamkeit willkommen heißen,
dem Übergang vom Zwielicht zur Nacht genau nachspüren,
sich verkriechen. Die Rabenkrähen auf leeren dunkelbraunen
Äckern rufen mir zu, dass es Zeit für die Ahninnen wird. Ich
hole sie hervor, an einem grauen Spätnachmittag – meine
Ahninnendecke.
Die Zeit bis zum Perchtentag wird sie bleiben,
mich einhüllen, mich zurückführen zu meinen Wurzeln, meine
Ahninnen lebendig werden lassen. Jedes Jahr wächst sie ein
Stückchen. Ich habe sie alle eingenäht, verwebt, ihre Bilder,
mit schwarzen Fäden umhäkelt, Erinnerungsfetzen mit
eingeflochten. Es sind meine Großmütter, Patinnen, die, die
mich inspirierten, die mir zeigten, wie ich mutig meinen Weg
gehen kann, Vorfahrinnen, die mich in die Tiefe der Zeiten
führen. Die Fülle ihrer Lebenserfahrungen, ihre Kraft umhüllt
mich. Die Ahninnendecke knistert, raschelt und raunt mir
Geheimnisse zu. Warm liegt sie um meine Schultern. Ich
könnte jetzt auch einschlafen und sterben, einfach so. Sanft
und leise wüsste ich mich aufgefangen, begrüßt und geführt.
Es ist die Tödin, die ich spüre, die mich irgendwann einmal
geleiten wird, die Hebamme in Leben und Tod. Meine Ahninnen
lachen und werden mich willkommen heißen, wenn ich den
letzten Bogen auf der Spirale laufe, mich öffne, hingebe. Nun
werden wir unsere Zeit miteinander haben, mit weißen
Speisen, Geschichten und Liedern nehme ich Verbindung auf
zu ihnen, zu meinem alten Wissen. Es ist meine dunkle Zeit,
die so heilsam, so tief ist. Da ist meine intelligente Großmutter
Berta, die mir von ihrem Kampf für ihre Bildung erzählt und
ihre schöne Zwillingsschwester Augusta, die nicht wusste wie
hinreißend sie ist und den Ruf einer streitlustigen Kämpferin
hatte. Li, charismatische Frau des Gesangs, der Oper, Muhme,
die zu viel aufgab für ihre Männer. Großmutter Maria mit
ihrem harten armen Bäuerinnenleben, Urgroßmama, Reisende,
die von Bahnhöfen oft nicht mehr nach Hause kam, die
ihrer Sehnsucht, ihrem Fernweh nachgab und fremde Länder
bereiste, ohne Zaudern und ohne Angst und irgendwann mal
wiederkam. Tante Lina, die rauchte, das Leben genoss und auf
alle Konventionen pfiff. Alle sind sie um mich mit ihren vielfältigen
Energien. Oft setze ich mich in den dunklen Nächten
mit meiner Decke in die Mitte meines Zimmers, mit Kerzen,
Griesbrei und Reis. Für jede nehme ich ein Reiskorn, spreche
ihren Namen, rufe sie, lade sie mit meiner Flöte ein, all diejenigen,
auf deren Schultern ich stehe.
Schwarze Frauen auf dem Berg,
dunkel an Bäume gelehnt,
gehen den Weg zu den Alten.
Die Federrassel führt uns zu den Ahninnen
und als Tochter der Percht lache ich mit dem Sturm.
„Bei“, rufen wir sie, mit Knochen rasselnd
und geben beim alten Hollerbaum
Speisen und Schnaps und einen Kinderreim im Reigen.
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